Herr Schlommko

2008_02_28 08_24_54-18581Ein paar Schreibübungen oder so ähnlich… vokabulärer Expressionsimus…

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(neue Kapitelchen werden immer unten angefügt)

 

Herr Schlommko

– Reise ohne Wiederkehr –

Angekommen

Herr Schlommko zog seinen zerschlissen abgewetzten Mantel enger um seinen bibbernd zitternden Körper und setzte weiter einen zittrigen Fuß vor den anderen, der Dicke Mann hatte ihn mit seinen stahlblauen Augen wie in einer Fritteuse baden lassen und er fühlte sich verletzlich und leer.


Die schemenhafte Frau auf der anderen Seite des nass glämzenden Fußgängerüberwegs hatte das Haupt still geneigt und starrte auf die ausgefransten Enden ihrer Schnürsenkel als sich die Tür des rostbefallenen Busses öffnete und Herrn Schlommko einen flüchtigen Blick auf die wärmenden Sitze gewährte.


Seine Gedanken wirbelten um ein großes Erdbeermarmeladenbrot auf einem Spaghettibett als er plötzlich die grüne Farbe der Bordsteinmarkierung wahrnahm und aufwachte….

Am Strand

Der glibberig grüne Farbklecks an der tief hängenden, sorgam bemalten Decke sonderte mit beharrlicher Langsamkeit einen sich mittig herausbildenden, runden Tropfen ab.


Herr Schlommko sah sich trüben Blickes um, benebelt wie von Dämpfen süßlich müffelnder Früchte. Der Mantel zu seinen Füßen wand sich. Er ergriff das rosane Handtuch mit dem Zwergelefantenaufdruck und wickelte es um sein kahles Haupt.


Die goldumrandete Tür öffnete sich und der Dicke Mann betrat den Raum, fixierte Herrn Schlommko lange mit Eisgrau stechenden Augen. Er griff nach der mutlos glimmenden Zigarette im Aschenbecher, ohne seinen Blick abzuwenden und öffnete ein vorhangverhangenes, trübes Fenster.


Herr Schlommko kauerte sich auf den zuckenden Boden und verbarg das schweißnass glänzende Gesicht in zittrig feuchten Händen.


Die Frau sah auf ihn nieder, ihr gelbes Kleid mit der linken Hand raffend, in der rechten das schmutzige Cocktailglas mit der gelben Flüssigkeit, die Licht zu schlucken schien.


Sie lächelte den Dicken Mann an, dessen schwülstige Lippen am Überrest der Zigarette klebten. Der Dicke Mann zog die Mundwinkel zu einem Lächeln herunter, vollzog eine halbe Pirouette und blieb, den Rücken zur Szenerie die sich ihm bot, regunglos stehen.


Herr Schlommko sah den rosafarbenen Strand und blickte hinaus in die matt schimmernde Sonne am klaren Firmament. Er atmete tief und betrachtete die Umrisse von winzigen Hochhäusern, die sich gegen den hellgrünen Himmel abzeichneten.


Der Dicke Mann ergriff das antike Telefon und schleuderte es emotionslos gegen die Wand, während er den grünen Fleck anstarrte. Es zerschellte wie stumpfes Glas in tausend splittrige Teile.


Herr Schlommko starrte auf den Zwergelefanten, der ihm vom Zipfel des rosanen Handtuchs aus vorwurfsvoll in die Augen sah.


Der Tropfen fiel. Er stürzte in das Cocktailglas und verband sich mit dem Inhalt in einer Explosion der Farben zu einem perfekten Blau.


Herr Schlommko ergriff die im lilanen Sand liegende, bronzen glänzende Münze und verschwand in dem Moment, als er erwachte.

Aufwachen

Herr Schlommko öffnete langsam sein linkes Auge während das rechte, vom Schlaf verklebt, in Schwärze gefangen war. Seine linke Hand hob sich langsam und er wischte in einer trägen Geste über sein schweißnasses Gesicht. Verschwommen nahm er das trübe Licht, welches sich wie ein dickflüssiger Strom flüssigen Honigs den Weg ins Zimmer bahnte, aus den Augenwinkeln wahr.


Müde liess er die Linke an seine Seite fallen und während er das rechte Auge öffnete und seine Wahrnehmung langsam an Schärfe gewann, ertastete er das kleine Runde etwas, auf dem seine Hand zur Ruhe gekommen war.


Er drehte den Kopf langsam zur Seite und starrte unverwandt auf den Zwergelefantenaufdruck seines grünen Kopfkissens. Eine verschwommene Erinnerung kam und verschwand. Der staubige Digitalwecker auf dem weißen afrikanischen Nachtschrank zeigte in roten Segmentziffern elf Uhr siebenundreißig.
Er hob das kleine, runde Etwas um es zu betrachten. Es war die bronzene Münze. Seine Stirn warf sich in Falten, Falten, die an die Wellen des Ozeans erinnerten.


Herr Schlommko wuchtete seinen Körper herum und setzte den rechten Fuß neben das muffig riechende Bett. Er richtete sich langsam auf und blieb in vorgebeugter Haltung auf der nachgiebigen Kante des Bettes sitzen, den Kopf in die Hände gestützt, das kleine, glänzende Bronzestück zwischen Daumen und Zeigefinger.

Regen

Herr Schlommko senkte die schlafschwere linke und betrachtete mit in Falten geworfener Stirn die bronzen glänzende Münze. Verwundene Strukturen gelbgrüner Patina leuchteten rauchig auf der Oberfläche, als durchdringe der Blick Nebelschwaden um sie zu erfassen.


Er spürte die Nachgiebig weiche Kante des durchgelegenen Bettes. Ein kurzes Glänzen im Winkel des Auges liess seinen Blick hochschnellen, unscharf sah er den grau-lilanen Himmel vor dem halbverhangenen, grimmigen Fenster. Er zwang seinen wiederwilligen Körper, sich zu erheben, spürte das wohlige Knistern der Gliedmaßen, als er sich in Bewegung setzte. Dicke Regentropfen von schwebender Leichtigkeit glitten Muster zeichnend über die schmutzige Scheibe. Er öffnete einen Fensterflügel und genoss die Gerüche, die seine Nase von innen benetzten.


Von der wasserbenetzt funkelnden Strasse blickten ihm die Eisblauen Augen des Dicken Mannes entgegen. Zu seinen Füßen saß sie, einer afrikanischen Springantilope im Fluge gleich.
Die Frau hob ihre Hand zu einem absurd anmutenden Gruß, ein gelbes Tuch zwischen Daumen und Zeigefinger haltend. Den Kopf mit dem vor Nässe anhaftenden Haar huldvoll erhoben.
Der Dicke Mann setzte sich in Bewegung, schwebte stetig schneller werdend über die neblig feuchte Fläche unter seinen Füßen.


Herrn Schlommkos Herz schlug schneller, gleich einem zuckend verendenden Tier. Wie elektrisiert richteten sich die feinen Härchen auf seinen ruhenden Fingern auf um nach ihm zu greifen.
Herr Schlommko roch die Ausdünstungen des Dicken Mannes, die sich wie zu fester Form manifestierend von seinem Körper erhoben und über den stählernen, in wilden Wirrungen verlaufenden Zaun hinweg auf ihn zu schwebten.


Panik überkam seine Hände, er klammerte sich mit aller Kraft an die blau leuchtende bronzene Münze die pulsierend zum doppelten ihrer Größe anschwoll und ihm wirre Worte des Begreifens einflüsterte.
Alle Kraft zusammennehmend, stiess er seinen sich träge zur Wehr setzenden Körper vom Fenster ab, der rückwärts in den Raum stürzte. Sein rechter Fuß schloss sich um eine feindselig schlängelnde Ranke im Boden, sein Körper wurde umwunden von seidig schalen Strängen die ihn weiterzogen, ins Leere stürzen liessen.


Der Aufschlag kam in listiger Heftigkeit, presste ihn aus und sprengte ihn auf wie einen reifen Kürbis.
Herr Schlommko rappelte sich auf, starrte auf den glatten Holzfussboden und sprang in Richtung der brüchig in ihren Angeln hängenden alten Tür. In einem Lichtblitz durchbrach er die Lücke im Raum und es wurde heller.

Das Abteil

Herr Schlommko stürzte langsam schwebend kopfüber in den Ring aus gleißendem Licht.
Wo eben noch der fadenscheinig durchschimmernde gewebte Teppich lag, tat sich nun ein weiter Raum gleissend hellen Strahlens unter ihm auf.


Er spürte, wie sein Kopf, sich windend, verzerrt wurde zu einer eindimensionalen Form unendlicher Länge und Krümmung, sah das Universum zu unendlicher Größe voll winziger Strukturen kollabieren als seine Wahrnehmung sich auf einer strahlenförmigen Linie ausdehnte bis er sich selbst vom einen ins andere Auge blickte, seine braungrün pulsierenden Augen ineinander stürzten zu einer Explosion aus Dunkelheit.


Herr Schlommko erwachte auf der rosanen Sitzbank seines Bahnabteils. Er blickte aus dem schrammig malträtierten Fenster und sah die Welt vorrüberfliegen. Eine kleine Spinne sah ihn von außen, an ihrem hauchfeinen Faden hängend und flatternd, einen Bruchteil eines Augenblicks lang wissend an, bevor sie, vom Fahrtwind hinfortgerissen, nach hinten stürzte.


Schwerer Atem drang an sein rechtes, von einem leichten aber ennervierenden Fiepen gepeinigtes Ohr. Seine Augen schnellten nach rechts und sein vor Schmerzen dröhnend benommener Kopf folgte.


Der Dicke Mann hatte die Augen geschlossen, sein sonores, beinahe mechanisch wirkend, lautes Schnarchen brachte die feinen Häärchen auf Herrn Schlommkos Handrücken zum zittern und sein Herzschlag raste hinfort wie getragen und gescheucht von den Geschehenissen der letzten…. waren es Tage, Stunden oder Minuten?


Die Anwesenheit des Dicken Mannes liess ein dumpfes Pochen in Herrn Schlommkos Nacken erwachsen. Er blickte auf die Uhr. Sollten es wirklich nur 5 Minuten gewesen sein, seit er in jenen unsäglichen, verwirrenden Traum entschlafen war?


Er starrte ins Gesicht des Dicken Mannes und die Welt um ihn herum verblasste zu einem grell leuchtenden Schwarz während ihm Schweiß in die schmerzenden Augen troff.


Erst jetzt wurde ihm bewusst, dass da noch etwas war. Etwas fremdes. Etwas, dessen Platz nicht hier sein sollte. Nicht in diesem Bahnabteil auf der Reise von Irgendwo nach Nirgendwo. Wohin reiste er?


Er kramte in den Schubladen seines Geistes, doch er wusste es nicht. Es war, als lese man ein Buch dessen Buchstaben vor den Augen verschwimmen, verblassen und in einer Endgültigkeit verschwinden, die die Seiten einsam, weiß und leer zurücklässt. Er suchte in seinem Geist, doch je mehr er nach Antworten suchte, umso mehr schienen die Antworten sich in Schatten zu hüllen, ihm bis in die Unendlichkeit zu entweichen.


Was war da? Etwas fremdes. Er blickte in seine Hand und sah das kleine, bronzen glänzende runde etwas. Eine Münze. Erinnerungen flammten auf. Der Traum war wieder da. Der Traum füllte jetzt die gesamte Erinnerung von Herrn Schlommko. Herr Schlommko wusste, er war sich bewusst, dass dieser Traum nur ein solcher war. Doch die Realität des Traums verwob sich wie in golden glänzenden Fäden mit der Realität seines Seins, drängte sein Leben, seine Erinnerung hinfort. Verschwommen verwaschene Bilder von Menschen die er kennt, die er kannte, verschwanden im Nichts der schwarzen Flecken seines Geistes, suchten Zuflucht in Lichtpunkten der Erinnerung und entzogen sich ihm unerreichbar.


Die Abteilstür wurde langsam, energisch und unaufhaltsam aufgeschoben. Die Frau, in ein tiefdunkelblaues Kleid gehüllt, betrat das stickig stumpfe Abteil und hob die knochige linke Hand zum Gruß, während die rechte sich fordernd öffnete, um von Herrn Schlommko die bronzen glänzende, sanft pulsierende Münze entgegenzunehmen.


Herr Schlommko wusste, dass das nie geschehen dürfe. Er blickte im Abteil umher. Der Dicke Mann öffnete die Stahlblauen Augen und sein Blick durchbohrte Herrn Schlommko, lähmte die Muskeln, die nicht mehr gehorchen wollten und pumpte energisch weitere Schwärze in Herrn Schlommkos Geist, während der Dicke Mann sich aufrichtete.

Die Flucht

Der Mann, der bis vor kurzem noch Herr Schlommko war, sah in starrer Lähmung in die Eisblauen Augen des Dicken Mannes. Jene Augen, denen nun ein silbriges Glänzen innewohnte. Er versuchte, sich der beengend spürbaren Umklammerung des Blickes des Dicken Mannes zu entziehen. Die fordernd knochige Hand der Frau, deren blaue Adern fein ästelnd unter der Haut zu erkennen waren, kam beständig näher, trachtend, nach der bronzenen Münze zu greifen.


Der Mann, der Herr Schlommko gewesen war, wusste, dass er dieses kleine glänzende bronzene pulsierende Etwas, diese letzte Verbindung zu dem, was er einst war, festhalten musste. Schwärze dehnte sich im benommenen Geist des Mannes aus. Sein schweißnasses Gesicht stülpte sich auf Links. Seine Augen versanken im ruhigen, wärmend furchteinflößenden Blick des Dicken Mannes.


Ein glimmender Funkte flammte in einer dunklen Ecke seines verknotet verworrenen Geistes auf. Mit aller Lebenskraft, derer er in seinem Innern noch habhaft werden konnte, stemmte er sich gegen den Sog des gleißenden Blickes des Dicken Mannes.


“Gib Dich hin, lass ihn gewähren, schnelle auf ihn zu und flieh!”
flüsterte der Funke in seinem Kopf.


Wissend, dass das Gerüst des Standhaltens in sich zusammzufallen drohte, entschloss der Mann, der Herr Schlommko gewesen war, zu folgen.


Er schickte seinen Geist dem Dicken Mann entgegen, der ihn mit Schwärze empfing.
Er folgte dem Sog, dem er sich so lange erwehrt hatte.
Er tauchte gänzlich in die Schwärze ein, wurde von ihr verschlungen.
Der Dicke Mann schnappte in dem entstandenen Vakuum der nun fehlenden Gegenwehr nach Luft. Der Geist des Mannes schnellte ihm in unendlicher Langsamkeit entgegen. Ein Bruchteil eines Augenblicks. Ein Wimpernschlag, der sich in der Schwärze, die den Dicken Mann und den Mann, der Herr Schlommko gewesen war, umgab ausbreitete, verlängerte, verzerrte und der schliesslich kollabierte.


Der Mann, der Herr Schlommko gewesen war, spürte den Sog. Er wich ihm, einzig dem Gefühl folgend, aus. Er katapultierte seinen Geist mit der Wucht einer treibenden Feder um die Manifestation des Dicken Mannes herum.


Der Geist des Mannes schnellte zurück in den Körper, der noch immer wie gebannt, gelähmt, auf der Bank des Abteils saß. Geist und Körper verschwanden in einer Explosion aus Nichts.

Der Beginn

Der Geist des malträtierten Wesens, das einst Herr Schlommko gewesen war, kollabierte zu einem schwammigen dunklen Fleck im Nichts eines tristen, bis zur Unbegreiflichkeit gewölbten Raums. Alle Zeit, was war, was ist, was wird, kollabierte. Lilan und bläulich schimmernd fahle Schleier matten Lichts stürzten in das taumelnd schwebende Wesen und füllten es aus.


Im selben Moment dehnte sich und kollabierte das Wesen. Es wand sich, verknotete sich und seinen Geist mit allem Sein, dem es habhaft werden konnte.


Im Bruchteil eines verfliegenden Augenblicks erkannte das Wesen einen Punkt aus Licht vor sich, auf den alles Sein in steter Langsamkeit, leuchtend in allen Farben, zustürzte. In dem sich das Sein vereinte und in einem gleissenden Oval aus Licht wieder auseinanderschnellte.


Das Wesen schnellte dem auseinanderdriftenden Sein hinterher. Unter dem eilenden Wesen manifestierte eine wage Form, bildete sich eine perfekte Kugel aus Feuer.


Das Wesen glitt um die Kugel herum, sah Brocken von fester und weicher Substanz, die sich vereinten und auseinanderglitten. Eine mächtige Kugel vereinte sich aus staubig glänzender Materie, erhärtete zu steinerner, brennend sprühender Struktur, kühlte ab, verbarg sich scheu unter einem Schleier gelblich grünen Nebels. Ein zweiter fahler Körper näherte sich, kleiner, schneller. Der Körper prallte auf die Kugel und zerfetze sie in einem stumm erschallenden Knall. Eine Welle aus Explosionen liess die feste Struktur der Kugel erschauernd hin und her wabern wie einen Tropfen Honig.


Dann waren sie zu zweit. Zwei perfekte Kugeln, eine groß, eine klein, gemeinsam in Harmonie Kreise beschreibend. Umeinander. Rotierend.


Die große Kugeln begann träge, sich zu verwandeln, färbte sich grün und blau. Strukuren erschienen. Die Reste des Wesens kollabierten zu einem Punkt, es nahm ohne Sicht Bausteine wahr, sich umkreisende Körper, winzig klein, doch unvorstellbar groß. Die Strukturen verschwanden, verbargen sich in Winzigkeit, entglitten der Wahrnehmung des Wesens. Wieder war da die bläulich schimmernd kreisende Kugel, auf die das Wesen nun herabglitt. Beschleunigte. Stürzte.


Punkte wuchsen zu Dingen, Dinge wurden zu Strukturen, Strukturen zu Leben, und das Leben selbst gebar Werke. Das Wesen sah eine dünnlich schlängelnde eiserne Kette, sich durch das Grün der Kugeloberfläche bewegend. Körper und Geist entfalteten sich beim Aufprall. Der Geist suchte. Im Bruchteil einer Ewigkeit erfasste er, wer er war.


Herr Schlommko. Seiner Erinnerung beraubt, wusste er, wer er war. Ein Name, nichts als ein schlichter Name. Nur wenige Meter vom unheilvollen Ort seines Aufbuchs entfernt.


Ein leeres Abteil. Er spürte die Anwesenheit des Dicken Mannes. Herr Schlommko tastete nach der bronzen glänzenden Münze die in seiner linken Hand pulsierte und leise leuchtete. Er öffnete die Abteiltür, setzte den rechten Fuß hinaus und eilte den sich dehnenden Gang hinunter zum Ende des Zuges.


Er spürte den zerrenden Sog, als in seinem Rücken der Dicke Mann in den Gang Glitt. Benommen, das Leuchten aus den Augen entwichen, die Wolke der schimmernden Ausdünstungen an ihm haftend wie klebrige Erde.


Herr Schlommko erreichte den letzten Waggon, öffnete die Tür und sprang….

Das Ende des Dicken Mannes

Der Eisenbahnzug glitt gleich einem sich im Wind wehend windenden Band aus Sternen durch die Nacht. Die hölzern knorrige Tür am Ende des Zuges öffnete sich und das warme Licht aus dem inneren ergoß sich flirrend in die Kälte der klaren Nachtluft.


Eine Gestalt zeichnete sich gegen das goldglänzende Licht ab und verschwand in der eisigen Kälte der Nacht.
Gleich einem gleissenden Meteor stürzte die Gestalt, eine faserig schweifende Spur aus lilanem und bläulichem Licht hinter sich herziehend, in die tiefe der Schlucht.


Augenblicke später verdunkelte sich die leuchtende Öffnung im Zug. Zwei silbrig glänzende Lichtpunkte sandten einen Schwarm von kalter Schwärze hinter dem taumelnd fallenden Körper her. Die gierige Schwärze zerfaserte, reckte sich, dehnte sich, griff mit nebligen Fingern ins Nichts und kollabierte schliesslich zurück in den geschwächten, dicken Körper, dem sie entwichen war. Der Dicke Mann stützte sich schwer gegen den brüchigen Rahmen der Tür. Die Frau, dicht hinter ihm, die spröden, gräulich bebenden Lippen an sein Ohr gepresst, stiess ein giftiges, beinah körperlich spürbares Wort aus.


“Hungere”


Die Farbe entwich aus dem Gesicht des Dicken Mannes, die weißen Knochen seiner Wangen traten hervor, sein massiver, dunkelgrauer Anzug legte sich in Falten, seine Eisgrauen Augen verloren den ihnen innewohnenden Glanz, traten wie faulige Eier aus den Augenhöhlen. Ein braun-weißlicher, glibberiger Moorast troff aus seinen Schuhen, trat aus seinen Poren.


Binnen Momenten magerte der Dicke Mann ab. Strukturen der Knochen traten hervor, das Haar fiel in Büscheln von seinem Haupt, bläuliche und rötliche Adern ästelten auf seiner fahlwerdenden Haut. Er trat einen Schritt zurück von dem Türrahmen, an den er sich mit aller Kraft geklammert hatte. Er blickte die Frau an, mit seinen trüben, eingefallenen Augen, tief unterlaufen von dunkelblauen Ringen. Sein rechter Fuß glitt aus dem nun viel zu großen Schuh, setzte auf der glibberig braunen Masse auf, die seinem zum Skelett abgemagerten Körper entwichen war. Er stürzte der Frau zu Füßen. Diese klauenartig krallenden Füße. Er stürzte, schlug mit dem zur Unkenntlichkeit gestrafften Gesicht, die Lippen zu einem erstaunten “oh” verzerrt, auf den harten Boden des Ganges auf. Die aschgraue Haut seiner Stirn platze auf, entblösste weißen Schädel.


Die Frau beugte sich über das, was von dem Dicken Mann verblieben ist, betrachtete lange den letzten glimmenden Funken Lebens in seinen mattgrauen Augen Sie nahm seinen Kopf auf ihren Schoß. Ihre knochige linke über seinem Gesicht schweben lassend. Lichter Nebel verliess seine Augen und seinen Mund. Die Frau nahm mit Gier den Nebel in ihre wabernde Hand, liess ihn um ihre Finger gleiten und schüttelte ihn schliesslich in einer angewidert schlängelnden Bewegung ab.


Das Licht des Nebels erlosch in dem Moment, als der Körper des Dicken Mannes kollabierte, zu einem gräulich schwarzen Pulver zerfiel und in die Nacht hinausgeweht wurde.


Herr Schlommko spürte, wie in Hände packten. Wärme durchströmte seinen zerschlagenen Körper. Herrn Schlommkos schlaffer Körper wurde aus dem Wasser gezogen, auf den Rücken gedreht. Herr Schlommko spürte wärmend die kleine, bronzen glänzende Münze in seiner linken Hand.

Der Alte

Träge schob sich die Sonne langsam über den Horizont, schickte Fluten warmen Lichts über den gewaltigen See. Die gewaltige, verwitterte Staumauer am Nordufer empfing ihr Licht dankbar und erfreute sich an der Wärme. Vögel und Getier erwachten aus dämmrigem Schlaf und begannen, ihr Tagwerk zu verrichten. Ein einsamer Falke zog seine Bahnen am Himmel. Hin und wieder einen gestreckten, schrillen Schrei ausstoßend.


Herr Schlommko zitterte wie ein im Wind wehendes Blatt. Schweiß stand auf seiner Stirn. Der Alte, der wachsam neben Herrn Schlommko hockte, tupfte den Schweiß mit seinem Ärmel ab, flößte dem Fremden einige Tropfen Wasser ein und wischte seine Feuchte Hand in dem langan, grauweißen Bart ab, der sein Kinn zierte. Das Gesicht des Alten schien nur aus furchigen Falten und tiefen Runzeln zu bestehen, als er den Blick gen Himmel wandte und ihn hinüber zu der Staumauer schweifen ließ.


Dort musste der Fremde herabgestürzt sein in die Kälte des Sees. Hoch wie 30 Männer war die Krone der Mauer über dem Wasser. Wie hatte der Fremde das überlebt? Fast unverletzt war er geblieben. Als der Alte ihn aus dem Wasser zog, sah der Fremde mehr aus wie jemand, der sehr, sehr schlecht geschlafen hatte als wie jemand, die 60 Schritt tief in den See gestürzt war. Die Linke des Fremden war zur Faust geballt gewesen.


“Trink etwas.” sagte der Alte mit brüchiger, ungeübter Stimme und benetzte ein weiteres mal mit gerunzelter Stirn die Lippen des Fremden mit kühlendem Wasser. Dann erhob er sich und stapfte gebeugten Hauptes in den Wald.


Kurze Zeit später kehrte er zurück, den unteren Saum seiner graubraunen Tunika zu einer Tasche hochgeschlagen, aus der er einige Früchte und Wurzeln hervorholte. Er warf alles auf die Erde und begann, mit einem großen Stein seine Funde zu zermalmen, bis Saft aus ihnen Quoll. Den Brei klaubte er auf, atmete tief den Duft sich entfaltender Wurzeln und Kräuter ein und gab alles in eine Schale aus Ton. Mit knochigen Händen schöpfte er etwas mehr Wasser aus dem See und gab es hinzu. Der Alte wischte ein weiteres mal seine Hände in seinem langen, verfilzten Bart ab, lächelte zufrieden und legte die Schale in die Feuerstelle, um die herum er sein Heim errichtet hatte. Er schichtete lose Holz um die Schale herum.


Er griff unter seine Tunika und holte die kleine schwarze Feuerbox hervor. Er drückte den mattsilbernen Knopf auf der Box und ein schlanker, grünliche Lichtstrahl erfasste ein Stück des aufgeschichteten Holzes. Binnen eines Augenblicks brannte es. Er ließ den Lichtstrahl einige Sekunden über das Feuerholz gleiten, bis es gleichmäßig brannte. Einst war die Feuerbox eine Waffe, doch der Alte zog es vor, den Dingen zu erlauben, etwas zu erschaffen, anstatt etwas zu zerstören. Die Dinge des Alten waren sehr dankbare Dinge.


Das Feuer brannte trocken und heiß. Nur ein dünnes, weißes Rauchfähnchen stieg in den Himmel. Der Duft der Kräuter, Früchte und Wurzeln breitete sich aus, glitt über Boden und Steine, bahnte sich einen Weg in die aus Ästen, Planen und Fundstücken gebaute Behausung des Alten und fand schließlich die Nase Herrn Schlommkos.


Herr Schlommko öffnete die Augen. Die Frau hatte sich über ihn gebeugt, ihre knochige Hand griff triefend nach seinem Gesicht. Er schnellte hoch, schwer atmend. Herr Schlommko taumelte, starrte die Frau an, sie hatte die Hände in wehrloser Geste rechts und links ausgestreckt, ihr bärtiges Gesicht war das eines alten Mannes. Herrn Schlommkos Sicht gewann an Klarheit. Der Alte Mann hielt Herrn Schlommko eine Schale Wasser hin. “Trink, vorsichtig.” sagte der Alte.


Herr Schlommko spürte seine Zunge am trockenen Gaumen kleben. Dankbar ergriff er die Schale und trank gierige, kleine Schlucke.

Reise beginnt

Oben, auf dem Turm an der Krone der Staumauer, wenige Meter von den Bahngleisen entfernt, stand Sie. Die klauenartigen Füße über die Kante der schartigen Turmwand gekrallt, in gehockter Haltung, leicht vorgebeugt. Das weit wallend rote Kleid, fast transparent, schwebte schwerelos im Wind. Trüber Geifer troff von ihren schmalen, tiefroten Lippen, als sie den suchenden Blick schweifend über das sonnige Tal gleiten liess.

Herr Schlommko trank das kühle klare Wasser. Der Alte lächelte sein zahnloses, faltiges Lächeln. Die Schale mit dem kargen Mahl begann im eifrig züngelnden Feuer zu dampfen. Er zog die Schale aus den züngelnden Flammen näher zu sich heran, ließ sie abkühlen. Herr Schlommko atmete tief die betörend würzigen Düfte von Wurzeln, Früchten und Kräutern ein. Gierig griff er mit der zitternden rechten zu, schlang das angebotene Mahl eilig herunter.


“Wie ist Dein Name?” ertönte die knarzige, freundlich warme Stimme des Alten. Herrn Schlommkos Stirn legt sich in Falten, als seine Augen die Ferne suchten. Er wühlte in seinen trüben Gedanken und wirren Erinnerungen.
“Schlommko” , sagte er nur. “Schlommko”


“Nun gut, Schlommko,” sagte der Alte, “Du musst Dich ausruhen, leg Dich ein wenig hin.”. Herr Schlommko sah seine verkrampft zur Faust geballte linke an, versuchte, sie zu öffnen. Er musste die zittrige rechte zu Hilfe nehmen. Langsam bog er seine sich vehement zur Wehr setzenden Finger knirschend auseinander, öffnete die Faust. Widerwillig gab seine Hand den Blick auf die kleine, bronzen glänzende Münze frei. Hatte er dieses kleine Stück Metall tatsächlich aus seinen bizarr anmutenden Träumen mitgebracht? Das war es, woran er sich erinnerte.


Herr Schlommko spürte einen dunklen Schatten auf seinem Gemüt. Er stand auf, trat an das Ufer des Sees und liess den Blick schweifen. Wie von einem unsichtbaren, makaberen Marionettenspieler gelenkt schwenkte sein Kopf nach links zur Staumauer, wanderte die maroden, grauen Wände hinauf bis zum thronend auf der Mauer ruhenden Turm an dessen Spitze er einen roten Schleier wahrnahm. Er wusste diesen Schleier nicht einzuordnen, doch die dunkel wabernden Schatten um ihn herum, die das goldene Licht des Tages zu verschlingen schienen, sprachen eine klare Botschaft. Er musste weg.


“Ich muss weg” sagte er. Der Alte, wissend lächelnd hinter ihm, sagte nur “Ich weiß, Schlommko. Hier, nimm das, es könnte hilfreich sein.” und gab ihm mit einem Händedruck, dessen Wärme Herrn Schlommko bis in die letzten, feinsten Äderchen wohlig durchströmte, die kleine Feuerbox. Herr Schlommko erwiderte den Blick der warmen, braun leuchtenden Augen des Alten, wandte sich ab und eilte stolpernd stürzend in den Wald.


Die Frau richtete sich auf dem Turm auf, die drei Dicken Männer, die hinter hier auf dem Boden kauernd gewartet hatten, taten es ihr gleich. Im selben Moment, in dem die Frau in einem dunklen Lichtstrahl schrill kreischend verschwand, hörten sie ihr durchdringendes Flüstern.


“Bringt ihn mir.”

Waldlauf

Die Drei kletterten unbeholfen, sich gegenseitig auf die Finger tretend, die rostige Metalleiter von dem verwitterten Turm hinunter. Ihre Leiber schlugen aneinander, als sie nebeneinader auf dem löchrig maroden Gitterboden den schmalen Wartungssteg entlangliefen. Schweiß troff ihnen von den sonnenbeschienenen Gesichtern, ihr Atem ging schwer. Immer wieder fielen sie, mal einzeln, mal zusammen, rappelten sich mühsam wieder auf und eilten weiter. Sie spürten den fahlen Atem der Frau im Nacken, hörten den Nachhall ihres schaurig durchdringenden Flüsterns. Sie hatten ein Ziel.


Herr Schlommko eilte in den von goldenem Licht durchschienenen, goldgrün strahlenden Wald. Nach einigen Metern wandte er sich ein letztes kurzes Mal um, lächelte den Alten an und flüsterte ein “Habt Dank.”, dann war er im dicht verwucherten Unterholz spurlos verschwunden. Der Alte lauschte noch lange dem sich stetig entfernend eilenden Rascheln. “Viel Glück” sagte er leise mit brüchig dünner Stimme.


Herr Schlommko eilte weiter, knorrige Wurzeln und dürre Äste suchten und grabschten energisch nach ihm, klammerten sich an ihn, rissen ihn brutal zu Boden. Immer und immer wieder rappelte er sich eilig auf, kroch auf zittrigen Händen und Füßen, die ihren Dienst versagen wollten, die feinen Häärchen in seinem Nacken vibrierend. Dann, zerschunden von seinem Sturz von der Staumauer und dem endlosen Spießrutenlauf durch den Wald, brach er unvermittelt hinaus auf eine Lichtung. Leichter, silbrig glitzernd schwebender Nebel zierte die Luft. Herr Schlommko spürte eine Ruhe, die ihn bis in die letzte brüchige Faser seines Körper erfasste. Er blieb stehen. Setzte sich, genoss die Ruhe, hörte Vögeln zu, die einen hinreissendden, genussvoll melodischen Gesang anstimmten. Etwas war zwischen seinen Fingern.


Er sah seine Hand an. Die bronzene Münze glitzerte im schwadigen Licht, pulsierte sanft leuchtend. Was war das für ein Ding? Wie zuvor zeichneten sich sanfte schwingende Muster auf der Oberfläche der bronzenen Münze ab.


Herr Schlommko löste sanft einen langen, dick gewundenen Faden aus dem Saum seines Mantels. Er schlang ihn konzentriert, die Stirn in Falten, mehrfach um die Münze. Er zog seinen Mantel und die dunkelgrüne Robe langsam aus, legte beides sorgsam auf einen feucht glänzenden Felsen zu seinen Füßen und den Faden über seine Rechte Schulter und unter seinem linken Arm hindurch. Er band ihn ganz und gar bedacht vor seiner Brust zusammen. Einen guten, festen Knoten. So konnte die Münze sicher unter seinem linken Arm ruhen. Er kleidete sich langsam wieder an und dachte über die Ereignisse der letzten…. waren es Stunden, oder Tage? Er dachte über die Ereignisse seit diesem seltsam bizarren Traum nach, der den Anfang seiner wirren Erinnerungen markierte. Er versuchte, über diesen Punkt hinaus zu gelangen, doch alles, was vorher war, verschwomm in einem dunklen Nebel, verbarg sich vor ihm, entzog sich. Herr Schlommko schlang seinen Mantel enger um sich und starrte in die Leere der Lichtung, lauschte den Vögeln, und spürte das sanfte Pulsieren der Münze an seiner Seite.


Der Alte saß an dem fröhlich flackernden Feuer während die Sonne, letzte Reste ihres wamen Lichts ausströmend, hinter der Krone der Staumauer verschwand. Wieder hörte er ein Rascheln. Ungestüm, tölpelhaft, wild.


Die Drei stolperten wenige Schritte hinter ihm aus dem Unterholz. Schürf- und Kratzwunden zierten ihre rosig runden Gesichter. Sie blickten den gebeugten Rücken des Alten an. Zwei von ihnen hoben witternd die fleischigen Nasen in die Luft, begannen, das Lager akribisch abzusuchen, beschnupperten die Lagerstatt, auf der der Alte den Schlommko gebettet hatte. Der Alte bewegte sich nicht, spürte den stechend eisblauen Blick des reglosen stehenden Dritten in seinem Nacken, während der Zweite am Hals, am Haar, am Ohr des Alten schnupperte, schliesslich langsam die lange, triefend schlurfende Zunge über den verfilzten Bart des Alten gleiten liess. Der Zweite richtete sich, genüsslich schmatzend, rechts neben dem Alten auf. Der Erste kroch sabbernd, auf allen Vieren, aus der einfachen Behausung des Alten und baute sich links des Alten auf. Der Alte spürte den Dritten nun so nah hinter sich, als würden sie miteinander verwachsen.


Die Augen des Alten leuchteten golden im Feuer. “Wo ist er?” flüsterten die Drei im Einklang.


“FORT”


tönte die warme Stimme des Alten als käme sie aus allen Richtungen. Im selben Moment hob der Alte die Hände nach rechts und links und berührte den Ersten und den Zeiten sanft an den Beinen in dem Moment, als sie begannen, euphorisch Lächelnd zu goldenem Staub zu zerfallen, der vom in der Nacht verschwindenden Sonnenlicht davongeschwemmt wurde.

Der Dritte stieß, eine Reihe weißer Zähne entblösst, einen Schrillen Schrei aus, als der Alte sich langsam zu ihm umdrehte, die flammend goldenen Augen in das Eisige blau der Augen des Dicken Mannes tauchte. Der Dicke Mann bewegte sich mit der Geschwindigkeit eines Schattens, gewann Entfernung und hetzte den dunklen, gierigen Nebel seiner Ausdünstungen auf den Alten. Der Körper des Alten begann zu pulsieren, golden glänzend warmes Licht umgab ihn, bäumte sich gegen die Attacken der dunklen Schwaden auf, die zerfaserten und sich um den Lichtschein legten, nach dem Alten griffen, suchten. Der Alte begann, durch und durch in goldenem Schimmer zu leuchten, sein Körper löste sich gleich einer goldenen Wolke auf, kollabierte zu einer winzigen, pulsierenden Kugel und schoss dann als goldener Strahl verschwindend in die Höhe des Himmels.


Dem Dicken Mann klebte das schwarze, faserige Haar an der straff gespannten Stirn. Die Eisblauen Augen waren weit aufgerissen als die schwarzen Schatten seiner Ausdünstungen in umspielten, ihren Weg suchten, sich wieder mit ihm zu vereinen. Die Schatten waberten um den Dicken Mann herum, pulsierten, dehnten sich, kollabierten auf den Leib des Dicken Mannes. Der Dicke Mann taumelte. Eine Barriere hielt die Schatten zurück, sie konnten nicht zurückkehren. Das goldene Leuchten hatte sie an die Welt gebunden, hinderte sie am Rückweg in die vertraute Wärme des Leibes. Der Dicke Mann fühlte sich leer und schwach, die schwarzen Schatten waberten um ihn, klammerten sich an Arme und Rücken des Dicken Mannes. Er versuchte, dem Schatten zu befehlen. Der Schatten hörte.


Herr Schlommko sah den goldenen Strahl in den Himmel schiessen und erwachte aus seinem Tagtraum, er spürte die wabernde Schwärze hinter sich, tastete nach der kleinen, bronzenen Münze und stolperte stürzend und eilend weiter, hinein in die Nacht.

Weiter

Der Dicke Mann wankte unbeholfen schlurfend durch den widerspenstig wehrhaften Wald. Schlingend grabschende Wurzeln schlangen sich angriffslustig um seine Beine und Arme. Immer wieder nötigte der Wald ihm wertvolle Augenblicke ab, verlangsamte ihn, stoppte ihn. Immer wieder bäumte der Dicke Mann sich auf, eilte einige schnelle Schritte, nur um umso heftiger vom Wald umschlungen, aufgehalten zu werden. Zeit dehnte sich und sog die letzte Kraft aus seinen schlaffen Knochen. Der schwarze Schleier seiner Ausdünstungen folgte ihm, klebte an seinen massig fleischigen Schultern wie ein Umhang aus schimmernder Seide. Er erreichte eine Lichtung. Schwarzer, undurchdringlicher Nebel klebte auf der Erde, er watete hindurch, spürte, wie die Kräfte in seine morsch knisternden Knochen zurückkehrte. Der Dicke Mann wuchtete seinen trägen Körper auf einen großen, freundlichen Stein. Der Nebel gab ihm Frieden, liess wohlige Schauer durch seinen malträtiert gehetzten Körper jagen. Er starrte in die wabernden Schleier.


Herr Schlommko eilte weiter; rastlos, gejagt. Er spürte die dunkle Schwärze in seinen vibrierenden Nackenhaaren. Er spürte, wie seine Beine ihm nicht mehr gehorchten, mechanisch ausholend weiterliefen. Schweiß troff von seiner Stirn in die Augen, verschleierte die trübe Sicht. Der Wald schien ihm einen Weg zu weisen. Äste zogen sich zurück, öffneten finstere Pfade, alte Bäume schienen beiseite zu treten, ihm spalier zu stehen. Als Herrn Schlommkos Beine endgültig versagten und seinen schlaffen Leib zu Boden sinken liessen, stürzte er aus dem Wald.


Ein aufgerissen löchriger, schmutzverkrusteter Magnoweg lag vor ihm, sanft in der Dunkelheit pulsierend, in jenem Magnowegen eigenen, mattgrün schimmernden Licht. Die Lichtpunkte der Leitschiene wanderten langsam von rechts nach links an Herrn Schlommko vorbei. Sicheres Zeichen. Zivilisation. Er wandte sich nach links und folgte dem leitenden Strom der sich auf die nächste Ansiedlung zu bewegenden Lichtpunkte. Die Münze, deren ungewöhnliches Gewicht er unter seinem linken Arm spürte, pulsierte leise, strömte sanfte Ruhe in seinen Körper. Die Jagd war vorbei.


Der Dicke Mann starrte in den schwarz wabernden Nebel. Er verlor sein Ziel. Vor einem Augenblick noch spürte er in einem verborgenen Winkel seines schattigen Seins das sanft pulsierende Beben des Kulvus, den der Fremde bei sich trug, dann war das Bewusstsein des Dicken Mannes verschwunden im schwarz wabernden Nebel zu seinen Füßen. Er erhob sich, trat einige Schritte auf die friedlich in der Dunkelheit liegende Lichtung. Dann schien es, als würde der Nebel zum Ozean werden. Der Dicke Mann tauchte bis zu den Hüften ein, ging weiter, und verschwand schliesslich zur Gänze in den wabernden Fluten. Aus den Fluten aber erhob sich der Schatten der Ausdünstungen des Dicken Mannes. Der Schatten tauchte erneut in die schlammig schwarzen Nebel, erhob sich, schwebte zielstrebig zu dem Stein, auf dem eben noch, versunken in fernen Geisteswelten, der Dicke Mann gesessen hatte. Der Schatten manifestierte als drahtig wieselhafte Gestalt, ein Schleier aus Schwärze umgab ihn, senkte sich um ihn als langer Mantel. Der hohe gerade Kragen des Mantels umrahmte ein weißes lippen- und zahnloses Gesicht. “Endlich frei” zischte der Schatten, als ein Gedanke von ihm Besitz ergriff. Kulvus.


Herr Schlommko folgte dem pulsierend gleitenden grünen Lichtstrom. Er fand eine Notstation, an der er Wasser und eine transparente Tube mit Nahrungskonzentrat für drei Tage fand. Das Konzentrat schmeckte fad und wiederlich, doch würde es seinen Körper am Leben erhalten, mit wertvollen Nährstoffen und Flüssigkeit versorgen. Er schlang eine karge Tagesration in sich hinein, den Brechreiz unterdrückend, dann suchte er sich ein Versteck zwischen den Wurzeln eines uralt scheinenden Baumes, wickelte sich in die silbrig glänzende, hauchdünne Notdecke und schlief einen unruhigen, traumlosen Schlaf.


Der Schatten suchte seinen Weg, doch das einzige, was er spürte, war die Anwesenheit von warmem Licht in der Nacht. Woher? Er hielt das in die Luft, was wohl seine Nase war, jenes stummelig kurze Ding, leicht gen Himmel geneigt. Er folgte der Witterung, den Weg zurück, den der Dicke Mann gekommen war. Er roch die Blutspuren, wo der Dicke Mann vom Wald verletzt worden war. Dem Schatten stellte sich der Wald nicht in den Weg. Sicheren, ruhigen Schrittes glitt der Schatten durchs Unterholz, kein Geräusch verursachend.


Der Schatten trat aus dem Wald heraus, wenige Schritte vor ihm das fröhlich an einer großen Karaffe züngelnde Feuer. Die Karaffe verströmte einen Duft von warmen Kräutern, der langsam über den Boden kroch, sich in der Luft ausbreitete. Der Alte Mann wandte den bärtigen Kopf zu dem Schatten und lächelte sein warmes, zahnloses Lächeln. “Sei mir gegrüßt” erklang die brüchige Stimme des Alten. Der Schatten schritt auf ihn zu, das zahnlose Loch, das sein Mund war, zu einem abstrusen Lächeln verformt. Der Schatten legte die rechte auf den linken Unterarm des alten in einer freundschaftlich zugeneigten Geste. Der Alte hob die rechte zur Schulter des Schattens, als er sah, wie sein linker Arm an Farbe verlor, vergraute, wie Fäulnis zu seiner Schulter emporeilte, er spürte, wie sein Gesicht in tausend Splitter zerfiel, das Licht in ihm verlosch, seine Sicht trüb wurde und verklang.


Der Schatten beugte sich über das graue Häufchen Materie zu seinen Füßen, schöpfte den schweren Staub mit beiden Händen auf. Als er den Staub mit einem hallend dröhnenden Atemzug in sich hineinsog, krümmte er sich. Der Schatten brach zusammen, wandt sich auf der Erde, in kataklytischem Zucken streifte er die in den Flammen lustig brodelnde Karaffe, stürzte sie um. Seine linke wurde von dem Wasser gekocht, von dem Feuer verbrannt, als er einen durchdringend schrillen Pfeifton ausstiess. Ewig lag der Schatten unter dem Schleier seines Umhangs da. Als er sich aufrichtete, die linke von den kochenden Kräutern und dem Feuer entstellt, hatte das, was der Ansatz eines Gesichtes gewesen war, die Züge des Alten angenommen. Weiße Haut und rötlich schimmernde, ästelnde Adern verrieten das Andere ebenso wie der schwarze Schleier, der ihm anhaftete. Dennoch hatte jede Runzel, jede Falte ihren Platz gefunden und auch das warme Lächeln war im Gesicht des Schattens angekommen. Er wusste jetzt, wonach er suchte.

Der Schatten sah sich um. In welche Richtung sollte er sich wenden? Kein Anzeichen. Er würde warten. Wandern. Suchen.


Herr Schlommko erwachte aus seinem tauben, stummen Schlaf. Er tastete nach der Münze. Still und kalt hing sie unter seinem linken Arm. Er musste ergründen, was das war. Was er da, aus einer Traumwelt, hier herübergebracht hatte. Er musste ergründen, was das war. Was ihm seine Erinnerung genommen, den Schlommko aus ihm gemacht hatte. Er richtete sich auf und trat zurück an den Magnoweg. Am Horizont sah er feine Umrisse einer Ansiedlung. Den hohen Turm im Zentrum, die blaue Lichtkuppel an der Spitze pulsierend. Die flachen und flacheren Wohnbauten an den Ausläufern. Er stapfte los, die silbrig glänzende, wie flüssig wirkende Notdecke zu einer Tasche geschlagen, in der er sein weniges Hab und Gut sorgsam verstaut und die er sich diagonal um den Körper gebunden hatte.

Der lange Marsch

Herr Schlommko hörte den beinahe lautlos herangleitenden Magnoschlitten und drehte sich um. Matt glänzend schwebte die unbemannte, tropfenförmige Konstruktion zwei Arm breit über dem Boden an Herrn Schlommko vorbei in Richtung der fernen Ansiedlung. Herr Schlommko blieb lange stehen und sah dem schnell fortgleitenden Frachtschlitten nach, beobachtete die Reflexionen des goldenen Sonnenlichts auf dem gewölbten Körper.


Herr Schlommko raffte seine sorgsam improvisierte Tasche und marschierte stoisch weiter, dem schnell fortgleitenden Magnoschlitten hinterher. Mit der rechten ertastete er die kleine Münze unter seinem linken Arm. In der warm pulsierenden Sonne des beginnenden Zeniths suchte Herr Schlommko Schutz sich in den ausladenden Schatten eines gewaltigen Baumes, entledigte sich seines staubig abgewetzten Mantels und entfaltete seine silbrig schimmernde Tasche. Er griff nach der Tube mit dem Nahrungsmittelkonzentrat; schlürfte, tief in Gedanken auf der Suche nach seinen verlorenen Erinnerungen einen Finger breit der widerwärtigen Masse. Die synthetischen Nährstoffe des Konzentrats fanden ihren Weg dorthin, wo sie am hilfreichsten wirken konnten und Herr Schlommko spürte binnen Momenten Kräfte in seinen Körper zurückkehren.


Herr Schlommko verschloss die Tube sorgfältig und verstaute sie. Er betrachtete seine Hände als ihm das sanft pulsierende, bläulich leuchtende Muster an seinem rechten Unterarm auffiel. Filigrane Linien, überlagert von einem Muster aus Punkten pulsierten dort. Im Tageslicht kaum erkennbar. Herr Schlommko strich sich mit der linken eine fettig glänzende Haarsträhne aus dem Gesicht, klemmte sie hinter sein rechtes Ohr während er weiter das sanfte, blaue Leuchten betrachtete. Er tastete über das Muster ohne zu spüren, dass dort wo es strahlte, irgendetwas anders wäre.


Herr Schlommko betrachtete noch lange das pulsierende Muster auf seinem Unterarm, beschloss dann aber, dass ihm das nicht half. Er hatte keinerlei Erinnerung, wie das Muster dorthin gekommen war oder was es bewirkte und er war hier und jetzt nicht in der Lage, es herauszufinden. Am Horizont sah Herr Schlommko rötlich lilane Wolken aufziehen und wusste, dass er sich eine sichere Behausung suchen musste, bevor die Wolken näherkamen.


Eilig raffte Herr Schlommko seine Dinge zusammen, schlang seinen improvisierten Beutel um sich, warf den Mantel über und lief in einem leichten Trott in Richtung der fernen Ansiedlung, die Augen fest auf den hohen Turm gerichtet. Weit vor sich auf der Ebene, dieser nur von wenigen schattigen Bäumen bewachsenen Ebene, welche keinen Schutz vor dem boten, was die Wolken bargen, sah er etwas matt glänzen. Er beschleunigte seine Schritte, die schmerzenden Beine zum laufen zwingend, mit der linken den Mantel raffend, mit der rechten den Beutel sichernd.


Die näherkommenden Wolken hatten sich zu einer Wand aus Lila und Blau verdichtet, weit hinter ihm verschwand der Wald, der ihm den Weg gewiesen hatte, im aus den Wolken still herabsinkenden, grün leuchtenden Nebel. Das matt glänzende Objekt näherte sich. Wenige Schritte neben dem grünlich leuchtenden Magnoweg lag ein auf die Seite gekippter Transportschlitten. In der Seite des Schlittens klaffte ein langer Riss, gerade weit genug, Herrn Schlommko hindurchkriechen zu lassen. Er wuchtete seine Habe ins innere des Schlittens und schwang sich hinterher. Im Halbdunkel des Innenraums stolperte er auf den Regalen und Gurthalterungen herum. Der Glatte Boden bildete die Seitenwand des gekippten Schlittens, während eine der Seitenwände ihm nun als Boden dienen musste. Er suchte ein leeres Fach in einem der Regale, leerte seine Habseligkeiten hinein und spannte eilend die Notdecke von innen vor den Spalt, tastete in der totalen Dunkelheit des Schlittens nach allem, dessen er habhaft werden konnte, um den klaffenden Schlitz in der Decke des Schlitten, durch den er gekommen war, so dicht zu verschliessen, wie es ihm möglich war.


Er kauerte sich in der Dunkelheit zusammen, tastete nach seiner Habe. Er fand den zusammengeknüllten Mantel, den er eilig ins Innere geworfen hatte, fand im Chaos des Inneren dieses Schlittens einen Platz, an dem er sich niederlassen konnte. Er wickelte sich in seinen Mantel, zog den Kragen seiner Tunika über Mund und Nase. Er wusste nicht, warum er es wusste, aber er wusste, der Nebel, der den Wolken entwich, war nicht gut. Er hörte das leise Rauschen als die Wolken den Schlitten erreichten, ihre pulsierend grün leuchtende Fracht über ihm und seiner Behausung ausschütteten.


Herr Schlommko dämmerte in einen leichten Schlaf.

Intermezzo

In der Dunkelheit entfaltete das Schiff seine Beine. Licht tanzte in den Leitungen umher. Das mechanische Surren durchdrang das Innere des Schiffs. Der Pilot, eingeschnallt ein eine Schutzschale, die ein perfektes, atmendes Negativ seines knochig dürren Körpers war, ließ den augenlosen Blick über die flirrenden Anzeigen gleiten, suchte den perfekten Ort zur Landung. Auf der Höhe der wippenden Baumwipfel die sich unter dem Druckfeld duckten, das die Luft unter dem Schiff Wellen schlagen ließ, schwebte das Schiff langsam in Richtung der hohen Staumauer.


Die Anzeigen weiter sorgsam beobachtend, fand der Pilot eine Lücke in der wallenden Ansammlung von Pflanzen unter sich. Das Schiff setzte sanft auf und ein organisch arbeitender Lastarm ließ die Schutzschale samt dem Piloten nach unten aus dem Schiff gleiten. Eine Hand breit über der Erde begann die Schutzschale zu zerfliessen. Die Anzeigen, projeziert in den Geist des Piloten, erloschen und er wurde, noch an den Versorgungsleitungen in Rücken und Hals hängend, von dem Lastarm in aufrechte Position gebracht und auf dem Boden abgesetzt.


Der Pilot kauerte sich gehockt auf den Boden, während das Schiff, einem Automatismus folgend, die Versorgungleitungen zum Piloten kappte und leise surrend aufstieg und in den Nachthimmel verschwand. Es würde die Atmosphäre verlassen und warten, bis er es rufen würde.


Neben ihm am Boden lag der pulsierender Haufen organischer Masse, den der Lastarm neben ihm abgelegt hatte. Er senkte einen handlosen Arm in die schlürfende Masse die sich augenblicklich mit ihm verband, seinen formlosen Körper überzog und ihm begann, Form zu geben. Wabernd umhüllte ihn die Masse immer weiter, bedeckte ihn komplett. Augen, Nase und Mund erschienen in seinem Gesicht. weiße Wimpern, Augenbrauen und Haare wuchsen aus seinem Kopf, Hände und Füße bildeten sich aus.


Nach einer kurzen Zeitspanne stand der Pilot auf der Lichtung, betrachtete feine, blaue Adern unter der Haut seiner Hände, tastete nach den feinen Häärchen auf seinen Unterarmen, sah an seinem nackt glänzenden, schlanken Körper hinunter. Er spürte die Kälte der Nachtluft. Unangenehm. Er legte die Hände aufeinander und schloss die Augen, sah das sanft pulsierende Licht der Displaybedienung in seinem Geist, gab einige Befehle ein. Ein dicker Tropfen organischer Flüssigkeit fiel von seinen Händen auf den weichen Waldboden, flimmerte im Licht der Sterne, verformte sich.


Als der Pilot die Augen wieder öffnete, lag zu seinen Füßen ausgebreitet ein einteiliger, enger Overall. Er streifte ihn über seine Beine, schob seine Arme durch die Ärmel und strich mit seiner rechten über den Schlitz an der Vorderseite, der das Einsteigen erleichterte. Wie ineinander verschmelzende und verfliessende Flüssigkeit verschloss sich der Overall in sanften Wellen und passte sich perfekt seiner Körperform an. Ein leichtes Kleidungsstück, perfekt wärmend und vor den Einflüssen dieser Welt schützend.


Der Pilot warf einen weiteren Blick auf das Display, doch es blieb stumm. Er würde selber suchen müssen. Unentschieden blickte er in verschiedene Richtungen, entschied sich schliesslich für eine und ging los.

Kräfte sammeln

Das Portal verbarg sich nahezu nicht sichtbar zwischen dem halbhohen, blau beblüteten Büschen. Nur, wer genau hinsah, konnte die leichten, verfliessenden Wellenmuster auf der Felswand ausmachen, die sich hin konzentrischen Kreisen ausbreiteten und kollabierten. Klauenartige Füße krallten sich in die Feuchte Erde. Die Frau sog durch ihre Haut die Lebenskraft des blumig duftenden Mutterbodens ein und trat elegant gleiten, fast schwebend, zwischen den Büschen hindurch. In einem kurzen Aufgischten des Wellenmusters wurde ihr schmaler Körper von der Felswand verschluckt.


Die Frau schritt lautlos durch einen dunklen Tunnel im Felsgestein, sanfte Klicklaute, die sie mit ihrer Zunge erzeugte, wiesen ihr den Weg, ließen sie, mit ihren Ohren, sehen. Hunderte von Schritten lief sie so durch die Dunkelheit, sich verzehrend nach der Wärme dieses kleinen bronzenen Stücks Metall, welches der Fremde ihr entrissen hatte.


Zwei Zenithe hatten gereicht. Zwei lächerliche Zenithe, um aus der eleganten Schönheit ihrer Zarten Haut und filigranen Glieder jenes Wesen zu machen, das sie im Spiegel der Oberfläche des Stausees zu sehen ertragen musste, bevor sie den Heimweg antrat. Sie musste mit dem Ältesten reden, überlegen, was zu tun war. Ihre Drohnen waren ausgeschwärmt, die Dicken. Jene aus dem Nichts erschaffenen Wesen. Seelenlos, gutmütig und doch so mächtig. Sie zu erschaffen kostete Kraft, die Kraft, die sie aus dem Kulvus ziehen konnte, jener alten, himmlischen Macht, die aus den Sternen zur Erde gestürzt war.


Der Älteste würde ihr sagen können, was zu tun war. Vielleicht würde er sogar ihren malträtierten Körper wieder herstellen können, dem man nun all die Jahre, all die verbrauchten Kräfte deutlich ansehen konnte. Die Dunkelheit half ihr, nachzudenken. Sie drang tiefer und tiefer in den Tunnel, ließ Abzweigungen hinter sich, wich Felsen aus, die den schmalen Pfad versperrten, glitt geschmeidig unter tief hängenden Felsvorsprüngen hindurch.


Weiter hinten sah sie das grünlich pulsierende, warme Licht der Tiefe. Jene aus sich heraus leuchtenden Pflanzen, die die Wände der Höhle der Ältesten besiedelten. Sie erkannte das Weiß ihrer knochigen Hände, blieb stehen, betrachtete die herabhängende Haut ihrer Unterarme. Sie sackte an der Wand des Tunnels zusammen, ihr tiefblaues Kleid in Falten am viel zu schmalen Körper geworfen. Auf dürren Knien kauernd brach sie, die weit aufgerissenen Augen in ihren zerbrechlich wirkenden Händen verborgen, weinend zusammen. Sie weinte, bis ihre Augen tiefdunkelrot wurden.


Sie wusste nicht, wie lange sie geweint hatte. Jämmerlich hatte sie geschluchzt und geschrien, in sich zusammengesackt. Ihre Knie waren blutig, die Augen blutunterlaufen. Sie fürchtete schon, so viel Flüssigkeit aus ihrem geschwächten Körper herauszuweinen, dass sie nicht weitergehen könne, als sie die wärmende Hand an ihrer Schulter spürte. Sie hob den Blick und begegnete dem freundlich warmen Lächeln des Ältesten, dem eine Locke weißen Haares ins Gesicht hing.


„Valeria, Du siehst scheußlich aus“ sagte er. Sie schluckte zwei mal, fühlte sich schwach, atmete tief durch und antwortete mit einem die Zähne entblößenden, lippenlosen Lächeln „Danke Dir, Athnius, es war kein leichter Tag.“


Der Älteste half Valeria auf die Füße und stütze sie die letzten Schritte in die matt erleuchtete Höhle, führte sie in einen Nebenraum, in dem eine Lagerstatt vorbereitet war. Ein Becher dampfender, aromatischer Flüssigkeit stand auf einem kleinen hölzernen Schemel. Valeria liess sich auf das Lager sinken, schlürfte vorsichtig einen Schluck der Flüssigkeit, und sackte in einen tiefen Schlaf.

Weiter auf Herr Schlommko Teil 2

(Hier auch als ePub und PDF zum Download: Herr Schlommko – eBook)

Datei Status: 23.05.2014, Downloads: 2027 (application/zip)

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