Solche Nachrichten wollen wir nicht hören….

Auswahl_006„Neusprech“ bezeichnet die vom herrschenden Regime vorgeschriebene, künstlich veränderte Sprache. Das Ziel dieser Sprachpolitik ist es, die Anzahl und das Bedeutungsspektrum der Wörter zu verringern, um die Kommunikation der Bevölkerung in enge, kontrollierte Bahnen zu lenken. Damit sollen sogenannte Gedankenverbrechen unmöglich werden. Durch die neue Sprache bzw. Sprachregelung soll die Bevölkerung so manipuliert werden, dass sie nicht einmal an Aufstand denken kann, weil ihr die Worte dazu fehlen.

Vom Orwell’schen „Neusprech“ sind wir natürlich dann doch noch relativ weit entfernt. Sprachregelungen (zumindest für den Moment und scheinbar) unvorstellbar. Dennoch bemerke ich Tendenzen, dass sich bestimmte Gruppen der Mittel des Neusprech bemächtigen, wobei ich nicht sagen kann, ob das tatsächlich eine Entwicklung der Sprache ist, oder ich auf meine Alten Tage einfach empfindlicher auf manch manipulative Sprachakrobatik reagiere, einfach misstrauischer werde und das, was so gesagt wird, auf seine Interpretationsmöglichkeiten hin durchleuchte.

Auslöser war eine Talksendung nach den S21 Demos und den dazugehörigen Polizeilichen Maßnahmen (die ja mittlerweile auf diversen Ebenen Nachspiele hatten) 2010. Ich weiß garnicht mehr, wer da saß, irgendein Politiker. Konfrontiert mit einem Einspieler von der Räumung der Demo, von Polizeibeamten, die mit Wasserwerfern und Pfefferspray inflationären Umgang pflegten, leitete dieser Herr seine Antwort ein mit den Worten:

Solche Bilder wollen wir natürlich nicht sehen.

Diesem Einleiter folgte in meinen Augen mehr oder minder inhaltsloses, aber über diese Einleitung bin ich gestolpert.

„Diese Bilder wollen wir natürlich nicht sehen.“ Was heißt das? Spricht aus diesen Worten die Kritik an einer Situation, die eskaliert ist? Der Eindruck entsteht. Genau betrachtet aber ist die Botschaft eine ganz andere. Wir wollen die Bilder nicht sehen. Die Kritik richtet sich, wortwörtlich genommen, daran,  dass die Bilder gezeigt werden. Die Räumung, die Gewalt, alles gut, alles legitim, aber bittebitte, hört doch auf, dem Bürger mit den Bildern lästig zu werden.

Seitdem ist die Wunde aufgerissen und ich suche. Zugegebenermaßen mit dem Ehrgeiz, etwas zu finden, und wer etwas finden will, der findet auch etwas. Jeder mag sich sein eigenes Bild machen.

Das Thema heute: Freiheit, Sicherheit, Terrorbekämpfung. Daraus resultierend: Internetüberwachung, Telefonüberwachung, Videoüberwachung öffentlichen Raums.

Hier einige Zitate dazu und meine Interpretations-worst-case-Szenarien.

Niemand darf wahllos die gesamte Kommunikation überwachen.

Ein gern gehörter Satz, wenn es um die Überwachung geht. Gleichzeitig lobt die Politik Prism, fordert mehr Mittel und Technik zur Überwachung und verhält sich entgegengesetzt. Wie ist das zu verstehen?

Wahllos ist der erste Fallstrick. Wenn die Politik die Wahl trifft, die Anwesenheit im Internet zum Auswahlkriterium zu machen, ist es dann noch wahllos? Nun, so lange noch nicht alle Bürger auf facebook und Co aktiv sind, nicht. Verdachtsmoment Social Network.

Die Zweite Falle liegt in „gesamte Kommunikation“. Natürlich verwehrt sich die Politik dagegen, die gesamte Kommunikation zu überwachen. Es muss Ausnahmen geben, z.B. die Kommunikation von Politikern, die sollte natürlich nicht überwacht werden. Klar?!

Ed Snowden, der Whistleblower, der Prism und diversen anderen Bullshit offenbart hat, den unsere Regierungen so treiben, sieht sich einer Aklage der USA ausgesetzt. Nachrichtenmagazine weltweit titeln:

US charges NSA leaker Snowden with espionage.

Spionage? Hier mal kurz die Definition aus dem Duden:

Spionage: Tätigkeit für einen Auftraggeber oder Interessenten, besonders eine fremde Macht, zur Auskundschaftung militärischer, politischer oder wirtschaftlicher Geheimnisse.

So wie ich das verstehe, hat Ed Snowden nichts aktiv ausgekundschaftet, sondern solche Informationen, die ihm sowieso zur Verfügung standen ohne Auftraggeber oder Einfluss einer fremden Macht an die Öffentlichkeit ausgehändigt.

Wie kann das Spionage sein? Man mag darüber streiten können, inwiefern Whistleblowing ein Verbrechen darstellt, es aber mit Spionage gleichzusetzen ist so, als würde man Journalismus pauschal als Denunziation, Verleumdung und üble Nachrede betrachten.

Einer der größten Witze der letzten Tage ist scheinbar einem Entwurf für ein Regierungsprogramm der CDU/CSU für 2013-2017 entnommen:

„Der Staat muss persönliche Kommunikationsdaten der Menschen schützen. Zugleich dürfen wir jedoch Schutzlücken bei Strafverfolgung und Gefahrenabwehr nicht hinnehmen.“

Nochmal lesen und nachdenken. Was bleibt vom ersten Satz dieses Sprüchleins, nachdem der zweite Satz gelesen wurde? Richtig. Ein flotter Spruch ohne Bedeutung. Hingeschrieben in der Hoffnung, dass keiner weiter liest. Und das tolle, die Menschen sind mittlerweile so weit, dass sie bereit sind, den ersten Teil zu fressen und den zweiten zu ignorieren.

Und als stumpfes aber bezeichnendes Highlight hier noch ein kleines Zitat von Herrn Steinbrück, der nach einer Rede zur Außenpolitik ganz frech darauf hingewiesen wurde, dass SPD und CDU sich da doch inhaltlich sehr ähnlich wären, und was denn nun an seinen Haltungen besonders sozialdemokratisch sei. Seine Antwort:

„Wenn ein Sozialdemokrat eine solche Rede hält, dann ist sie eine sozialdemokratische Rede.“

Ich erspare mir jegliche Kommentierung.

Aber die CDU hält gegen, nach einem kürzlichen Urteil des Bundesverfassungsgerichts hiess es da in der Frankfurter Rundschaus aus CDU-Kreisen:

In CDU wie CSU aber wächst der Groll gegen das Bundesverfassungsgericht. Karlsruhe drücke der Union eine völlig andere Politik auf, als sie vertrete, heißt es.

Ich übersetze mal eben: Heisst das, dass sie eine verfassungswidrige Politik vertreten?

Es gibt zig weitere Beispiele. Sie alle sind, ja, weit entfernt vom Orwell’schen Neusprech. Dennoch ist diese Sprachakrobatik, dieser Versuch etwas zu sagen, das klingt, wie das Gegenteil dessen, was es meint, ein erster Schritt und womöglich auch ein gemeinerer, subtilerer, als Orwell vorhergesehen hat. Orwell’sche Entwicklungen sind allenthalben beobacht- und erlebbar.

  • Profilierung von Menschen, die an Gedankenlesen grenzt.
  • Überwachung der virtuellen Aktivitäten im privaten wie öffentlichen.
  • Generalverdacht wegen Meinung oder politischer Haltung.
  • Pervertierung von Worten durch die Politik.
  • Niederschlagen oder Totschweigen von Bürgerprotesten (S21, March against Monsanto, Blockupy etc.)

Das klingt alles generell harmloser als das finstere Bild, das Orwell zeichnet. Immerhin wird es nicht von einem namenlosen rigiden Polizeiapparat und einem „Informationsministerium“ ins Volk geprügelt. Bei uns steht ganz groß „Demokratie“ oben drüber. Es passiert viel diffuser und keiner spricht davon irgendwas aus. Für die meisten passiert das wohl auch unbewusst, selbst die meisten aktiv beteiligten. Es ist weniger Unterdrückung und Verlust der Freiheit die wir wahrnehmen, als besserer Service und mehr Komfort….

Worauf ich eigentlich hinauswill: Politsprech hat mittlerweile in vielen Teilen große Ähnlichkeit mit Neusprech. Ausgelegt darauf, positiv missverstanden zu werden, ist es leicht, in die Fänge dieser Argumentationssimulationen zu geraten und sie für schlüssig zu halten. Bleibt wach wenn ihr Euch sowas anhört und lest und wendet die Formulierungen ruhig auch mal auf links und im Kreis, was wohl noch gemeint sein könnte. Manchmal ist es Absicht, wenn etwas so formuliert wird, manchmal auch einfach nur ein interessanter Einblick in das dahinterliegende Gedankengut… Für Demokratie ist es wichtig, dass wir die Politiker verstehen, auch wenn sie es nicht wollen.

Hier der Link auf Orwells 1984 in englisch (free download): http://ebooks.adelaide.edu.au/o/orwell/george/o79n/index.html

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2 Gedanken zu „Solche Nachrichten wollen wir nicht hören….

  1. In einem Punkt muss ich widersprechen, diese Sprache ist nicht „weit entfernt vom Orwell’schen Neusprech“, sondern nur subtiler, ausgefeilter den Sinn im Kontext selbst verbergend. Oder nur eine besonders elaborierte Form der ungewollten Selbstentlarvung, beruhend auf der sprachlichen Konditionierung im Rahmen der Abgabe zahlloser Statements. Statements, die selbst im Gespräch oder der Talkrunde die Kommunikation ersetzen und nicht ergänzen.

  2. Nun, zumindest ist sie nicht durch Reglementierung zementiert sondern, wie Du schon sagst, erheblich subtiler…
    Abgabe von Statements statt Kommunikation trifft es extrem gut…. darauf werden die Leute Konditioniert….
    Im Prinzip ist die Entwicklung viel verrückter, als Orwell geahnt hat, denn wir, bzw. das allgemeine Dummbürgerschaf, begrüßt diese Entwicklung scheinbar sogar als Komfortgewinn…

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