Bin ich schon drin?

Heute kam mir mal so dieser alte Werbespot einer Firma namens AOL in den Sinn, in dem unser allseits beliebtes Bobbele, quasi noch in der vollen Blüte seiner jugendlich tennisspielenden Manneskraft, an einem völlig mit Papier vermüllten Schreibtisch sitzend ein wenig mit der Maus eines Personal Computers spielt und dann sein verblüfftes „Bin ich schon drin? Das war ja einfach.“ ausstößt.

Bin ich schon drin. Oder auch „Wow, ich bin drin“, wer hat diesen Gedanken nicht irgendwie gehabt, so in den 90ern und früher? Ins Internet, da ging man „rein“. Wie in eine Telefonzelle oder ein Kino. Man betrat es, und wenn man fertig war, dann verliess man es auch wieder. In der Anfangszeit noch mit Abrechnung im Sekunden- oder Minutentakt. Da hiess es dann Abends mal schnell „rein“, Emails abrufen, dann Verbindung trennen weil teuer, dann Emails lesen und Antworten schreiben. Wieder einwählen, „senden“ drücken und unter Umständen noch ein wenig in die weiten des World Wide Web abtauchen.

Ich erinnere mich an ein junges Online-Projekt namens „ebay“. Da gab es schon so eine Art „Stream“. Alle Produkte, die dort feilgeboten wurden, kamen aus Privathand, es war ein Flohmarkt. Und in der Regel konnte ich in kurzer Zeit, wenn ich mich Abends mal ins Internet eingeloggt habe, alle Angebote des heutigen Tages eben zurückscrollen und schauen, ob für mich was spannendes dabei ist. In jedem Fall konnte ich alle endenden Angebote in diesem „Stream“ in Echtzeit beobachten, ganz ohne Sortierung.

Aber darum solls hier nicht gehen… es geht um „Bin ich schon drin?“ oder besser, um es in die heutige Zeit zu transportieren „Wie komm ich hier raus?“. Ein kurzes überschlagen eines normalen deutschen Familien-Haushalts ergibt die Anwesenheit mindestens eines Desktop PCs, ein bis zwei Laptops, ein bis zwei Tablets, 2 oder mehr Smartphones, ein Internetfähiger Fernseher oder Receiver, ein BluRay-Player mit Netzzugang, eine Spielekonsole mit Netzzugang, demnächst kommen dann wohl noch internetfähige Armbanduhren, google glass und werweisswasnoch dazu.

Ausloggen? Auch das gibts im Prinzip kaum mehr. Dank Datenflat fürs Handy, DSL-Flat zu Hause und einer guten Versorgung mit HotSpots stellt sich die Frage des Ausloggens kaum mehr. Wenn ich ein Smartphone kaufe, dann ist die Werkseinstellung „Netzzugang aktiv“, DSL Router sind generell so gebaut, dass sie die Verbindung andauernd halten. Mein TV-Receiver setzt eine stehende Internetverbindung vorraus, um überhaupt anzugehen.

Vieles davon ist pflegeleicht, weil ich jetzt von überall auf der Welt via Smartphone meinen Videorekorder bedienen und Aufnahmen einstellen kann oder weil ich irgendwo auf dem Klo sitzen und da in ruhe meine Emails abrufen kann, aber ist das wirklich hilfreich? Das Problem ist: Weil man es kann ist es prinzipiell schwer, es nicht auch zu tun.

Ich für meinen Teil erwische mich jedenfalls immer wieder, wie tentakelartige Greifarme sich sanft und vorsichtig in Form einer kleinen blinkenden LED auf meinem Telefon oder einem leisen Tonsignal, das den Eingang einer Nachricht oder einen neuen Post imd Sozialen Netz signalisiert, in meine Richtung tasten, um Aufmerksamkeit heischen und mich schliesslich überzeugen, schnell noch einen Blick auf den Bildschirm zu werfen, nur um dann für zehn, zwanzig oder hundert Minuten im Lesen und/oder Beantworten von Posts, Kommentaren oder Nachrichten zu versinken.

Im schlimmsten Fall wird mein Interesse und mein Mitteilungswille geweckt und es artet in einer kleinen Schreiborgie aus, was dann schon mal sehr lange dauern kann. Im Netz kursiert diese kleine Karikatur von diesem Kerl, der am Rechner sitzt und von seiner (wahrscheinlich) Frau ins Bett gerufen wird. Die Antwort des über den Bildschirm gebeugten Mannes: „Geht nicht Schatz, jemand im Internet liegt falsch!“ was ihn offensichtlich veranlasst, die Klärung von was auch immer mit „Jemandem im Internet“ erstmal mit höchster Priorität zu behandeln. Was soll ich sagen… es gibt Tage, da könnte ich das sein.

Und, wer kennt das nicht, es ist halb zwölf nachts, man bringt seinen „Ich geh nu ins Bett“ Post ins Social Network und findet sich irgendwann gegen ein Uhr wieder, während man noch immer Diskutiert, ob der zur Nacht gepostete Song nun gut oder schlecht, zu laut oder zu leise oder sonstwas ist…. man macht den Computer aus, sich selbst schlaffertig und zieht doch nochmal das Smartphone raus um zu gucken, ob nicht doch noch irgendwer irgendwas gaaanz wichtiges geposted hat, was man unbedingt noch vor dem Schlafen lesen muss. Und morgens? Der erste Griff nach dem Aufwachen geht zum Wecker Ausmachen, der zweite zum Smartphone, Nachrichten checken.

Die Frage heute ist also längst nicht mehr „Bin ich schon drin?“ sondern viel mehr die jeden Tag wieder auftauchende Frage „Wie komm ich hier raus?“. Diese Frage radikal zu beantworten ist natürlich leicht. Stecker rausreißen, Netz abmelden, Old-School-Handy besorgen. Raus. Ist aber auch nicht wirklich sinnführend.

Vielleicht hilft ja sowas wie der Autofreie Sonntag… eben als Netzfreier Sonntag. Wenigstens einen Tag in der Woche, an dem man das Smartphone wegsperrt, den „aus“-Knopf am Router drückt (sofern dann nicht irgendwelche Haushaltsgeräte den Dienst verweigern) und das Netz mal Netz sein lässt…. ich glaub, das werde ich demnächst mal versuchen.

Wenn ich mich traue.

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