Wulffs letzter Streich

Im Nachtrag zu Wulffs Zapfenstreich habe ich mir heute nochmal Gedanken zu den Ereignissen der letzten Monate gemacht, bin von dort aus gedanklich unmittelbar in eine Betrachtung der letzten Jahre geschliddert und fand mich unvermittelt in einer polit-philosophischen Betrachtung der politischen deutschen Nachkriegsgeschichte wieder, die mein Bild von Wulff grundliegend verändert hat…

Was fällt auf, wenn wir Wulff betrachten?

Zuerst einmal, dass – auch wenn Wulff parteipolitisch der CDU zuzurechnen ist – Wulffs persönliches verhalten doch sehr reinrassig liberal ist. Wulff nahm sich die Freiheit, zu nehmen, was er kriegen konnte – ob dies nun kostenlose „Upgrades“ auf Kappe seiner „Freunde“ waren, der, von ihm selbst ehemals mehr oder minder scharf kritisierte Ehrensold samt seiner Anhängsel, oder das vierte Lied beim Zapfenstreich.

Aus Wulffs Verhalten spricht in vielen Aspekten ein Egoismus, der fast schon an Soziopathie grenzt. Speziell sein scheinbar vollkommen fehlendes Unrechtsbewusstsein in den diskutierten Dingen, verstärkt diesen Eindruck noch in frappierender Weise.

Woher aber kommt nun dieses Verhalten und wie erklärt es sich?

Die naive Selbstverständlichkeit, mit der Wulff auf der Korrektheit seines Verhaltens beruht, deutet tatsächlich auf einen Realitätsverlust bei Wulff hin.

Aber kann man das Wirklich so nennen?

Oder ist es nicht vielleicht viel mehr so, daß Wulffs Realität einfach eine andere ist, als die des Volkes? Wulff scheint jedenfalls aufrichtig verwirrt ob der Kritik und die geradezu selbstzerstörerische Vehemenz seines Beharrens auf seiner scheinbar verqueren Weltsicht scheint nicht von persönlicher Falschheit geprägt zu sein.

Was also ist da faul?

Ich versuche mich an einer – womöglich sehr konstruierten – Erklärung.

Tatsache scheint, daß die Verquickung von Staat und Wirtschaft, das Wechselspiel von Gefallen und Gegenleistung, in der deutschen Nachkriegspolitik beständig gewachsen ist. Gleichzeitig ist der Idealismus, die klare Linie der Politik, wie sie unmittelbar nach dem Krieg und bis in die 80er Jahre hinein zu sehen war, in den letzten 20 Jahren deutlich aufgeweicht…

Es scheint, dass alle politischen Lager sich in einer stark liberal geprägten Mitte treffen… Das ist es auch, was die FDP mehr oder minder überflüssig macht, wenn nämlich alle politischen Lager mit dem Fähnchen des Liberalismus winken, gleichzeitig aber noch zusätzliches Rahmenprogramm, zusätzliche Anreize bieten, wer braucht dann eine auf Liberalismus limitierte Partei?

Aber das ist eine andere Frage… Also zurück zum Thema.

Wulff gehört, wie ich es sehe, zur ersten Generation „echter“ Nachkriegspolitiker. Warum? Nunja…

Unmittelbar nach dem Krieg wurde die Politik von Männern geprägt, die das Reich und den Krieg erlebt und überstanden haben – auf die eine oder andere Weise.

Diese Männer sind mit hohem moralischem Anspruch angetreten, eine Nation aus ihren eigenen Trümmern auferstehen zu lassen. Idealismus war da nicht nur angemessen, sondern Pflicht, es galt, ein neues Selbstverständnis zu begründen und so war der Anspruch bestellt, Aufopferung für das Wohl des Landes nötig und politisches Profil.

Dazu kam der ethisch-moralische Anspruch dieser Männer, die selbst erleben mussten, wozu sich ein System missbrauchen lässt. Ich glaube, dass hier, in Adenauer und Co, tatsächliche Integrität gepaart mit echtem politischem Profil mehr oder minder weit verbeitet war, in jedem Fall mehr als Heute.

Mit Wirtschaftswunder, 68ern & Co trat dann eine neue Generation Politiker an, von denen heute einige auch noch präsent sind. Diese Männer hatten den ganz direkten Bezug nicht mehr, es begannen die Verquickungen, Vorteilsnahme, Lobbyarbeit etc. intensiver zu werden.

Den Anspruch an Integrität, wie von den Altvorderen vorgelebt, kannten diese Männer aber noch aus erster Hand. Ein natürliches Schamgefühl und ein Bewusstsein, dass die eingeschlagene Richtung im Sinne einer Regierung von dem und für das Volk nicht Richtig ist, sorgten dafür, dass die unlauteren Machenschaften gut verborgen und hinter vorgehaltener Hand stattfanden.

Heute steht eine neue Generation parat, Wulff, Guttenberg, Köhler/Schröder und Co. Junge Politiker, die aber auch schon längere Jahre im Umfeld jener Verbringen, die sich wie selbstverständlich – zwar vor dem Volk verborgen, für ihre jungen Kollegen aber deutlich sichtbar und eben selbstverständlich – im Umfeld der Wirtschaft bewegen und von eben diesem umschwänzeln lassen.

Die Jungen machen da natürlich mit, geniessen den Einfluss und die scheinbare persönliche Attraktivität und erlernen dabei die nächste Stufe der Unverfrorenheit, da sie nur noch aus zweiter oder gar dritter Hand die Gerüchte über das einstmalige Integritätsgebot kennen. Für sie gehört all das, was die Älteren noch hinter dicken Türen und im Stillschweigen praktizierten, zum politischen Alltag wie Essen und Trinken. Es ist Normalität.

Ein Gefühl für Scham für diese Art von Verhalten wird ihnen nie beigebracht… Daher praktizieren sie diese Dinge eben offener als andere… Im Glauben, dass es sowieso allen bekannt und allgemein akzeptiert ist…

Das schlimme ist, dass sie genau dadurch tatsächlich eine Art Akzeptanz – die eher in Resignation der Bevölkerung besteht – generieren.

Wenn sie dann „erwischt“ werden, ist es diesen Menschen wohl wirklich völlig unklar, warum das, was ihnen von ihren politischen Vorbildern und Ziehvätern vorgelebt wird, so unrecht sein soll, ist es doch ihr erlerntes Lebensschema…

Das Problem aber ist tatsächlich nicht Wulff, sondern eben die Politik, in der das Halbseidene langsam, Generation für Generation, immer mehr zur offen gelebten Normalität wird…. Nicht aus Absicht oder bösem Willen, sondern aus der stetig schrumpfenden Möglichkeit, es überhaupt anders zu erlernen oder zu erleben… des stetig abstumpfenden Schamgefühls, das sich bei regelmäßiger Betätigung im besagten Milieu ganz von allein einstellt…

Ich würde nicht sagen, dass deswegen jetzt der Fokus von Wulff weg muss – auch wenn ich mit ihm Mitleid habe, so wie ich es mit einem Blinden hätte, der die Mona Lisa aus der Ferne beurteilen soll. Eine jetzige Schonung Wulffs wäre definitiv das falsche Signal.

Es sollte hier ein Exempel statuiert werden, nicht Wulffs wegen, sondern um der politischen Klasse zu demonstrieren, dass alte Grundwerte eben doch noch präsent sind. Gleichzeitig aber sollte der Fokus nun auch erweitert werden… Wulff kann doch nur die Spitze des Eisbergs sein, oder?

Wie gesagt, Wulff als Person tut mir leid, ist er doch Symptom einer politischen Klasse, in der der Nachwuchs die nötigen Werkzeuge garnicht mehr bekommt, um Gut von Falsch zu unterscheiden… Doch an irgendeinem Ansatzpunkt muss man die Kritik am System auch mal fest machen…

Im Moment scheint Wulff ein geeigneter Ansatzpunkt zu sein, weil er durch sein ehemaliges Amt nunmal obige Symptome genau mit dem Amt in Verbindung gebracht hat, wo diese am allerwenigsten auftauchen sollten….

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